Veranstaltungskommentar

Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Geschichtsschreibung zur Arbeiterbewegung, zu gesellschaftlichen Arbeitsverhältnisse und ökonomischer Ungleichheit für tot erklärt wurde. Zu unzeitgemäß schienen ihre Fragen und ihre zumeist sozialhistorischen Theorien und Methoden. Doch mittlerweile hat sich diese Situation wieder verändert. Bereits seit geraumer Zeit werden neue Fragen an „alte Bekannte“ (Thomas Welskopp) gestellt. Sowohl die Geschichte von (prekären) Arbeitsverhältnissen als auch diejenige verschiedener sozialer Bewegungen rückt erneut in den Fokus der geschichtswissenschaftlichen Forschung und ihrer Nachbardisziplinen. Bemerkenswerterweise koinzidiert diese Neujustierung des historischen Blicks mit aktuellen politischen Debatten um soziale Ungleichheit und die (globalen) Folgen des Kapitalismus.

Doch wodurch unterscheidet sich die neue ‚Labour History’ von älteren, vornehmlich sozialgeschichtlichen Herangehensweisen, die in der deutschsprachigen Forschungslandschaft vor allem als ‚Arbeiterbewegungsgeschichte‘ und ‚Geschichte der Arbeiterschaft‘ bekannt geworden sind? Neben der globalen Weitung der Forschungsperspektive wird zudem intensiv debattiert, wie eng oder weit Begriffe wie ‚Arbeit‘ oder ‚Arbeiter‘ beziehungsweise ‚Arbeiterin‘ zu fassen sind. Weiterhin wird verhandelt, welche kulturgeschichtlichen Ansätze für die Analyse von Arbeitsverhältnissen und sozialen Bewegungen geeignet sind und wie sie sich mit sozialgeschichtlichen Herangehensweisen verknüpfen lassen.

In der Lehrveranstaltung gehen wir der Frage nach den Unterschieden und Schnittstellen zwischen ‚alter‘ und ‚neuer‘ ‚Labour History‘ gemeinsam genauer nach. Zum einen vollzieht das Seminar die verschiedenen Phasen der ‚Labour History‘, ihre unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte und verschiedenen theoretisch-methodischen Herangehensweisen nach. Zum anderen diskutieren wir, wie sich diese Phasen in die allgemeine Entwicklung unseres Fachs und gesellschaftliche Veränderungen unserer Gegenwart einbetten lassen. Auf diese Weise wollen wir uns mit den Möglichkeiten, alte Themen neu zu beleuchten, gleichermaßen auseinandersetzen wie mit der Entwicklung neuer geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen an ein etabliertes Forschungsfeld. In selbstreflexiver Absicht diskutieren wir abschließend unsere eigene Zeitgebundenheit als Historikerinnen und Historiker ebenso wie die Frage, inwiefern die ‚Labour History‘ nicht nur als Subfeld des Fachs zu begreifen ist, sondern zu Fragen der allgemeinen Geschichte beitragen kann.

 

Literatur

Jürgen Schmidt, Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen, Lebenswelten, Organisationen, Frankfurt a.M. 2015.

Christina Morina, Die Erfindung des Marxismus. Wie eine Idee die Welt eroberte, München 2017.

Thomas Welskopp, Unternehmen Praxisgeschichte. Historische Perspektiven auf Kapitalismus, Arbeit und Klassengesellschaft, Tübingen 2014.