Ist qualitative Sozialforschung statistisch repräsentativ? Warum sterben in Deutschland Menschen aus unteren sozialen Lagen fast zehn Jahre früher als Angehörige höherer sozialer Lagen? Sind Menschen mit geringer Bildung „schwierige“ Interviewpartner*innen? Diesen und ähnlichen Fragen wollen wir uns im Seminar widmen!
Die Gesundheitsforschung zielt auf eine interdisziplinäre und methodenpluralistische Analyse sämtlicher gesundheitsrelevanter Lebensbereiche und einen Beitrag zur gesundheitlichen Chancengleichheit ab (vgl. Babitsch 2019). Aus der quantitativen Erforschung gesundheitlicher Ungleichheit ist bekannt, dass insbesondere niedrige soziale und berufliche Positionen, niedrige Einkommen und verringerte Handlungsspielräume gesundheitliche Benachteiligungen begünstigen und fortschreiben (vgl. Marmot 2015, 2004). Vor dem Hintergrund, dass sogenannte „immaterielle Ressourcen“ wie schichtspezifische Persönlichkeitsmerkmale und diesbezügliches gesundheitsrelevantes Verhalten für die Entstehung und Fortschreibung gesundheitlicher Ungleichheit an Bedeutung gewinnen (vgl. Lampert et al. 2019: 7), werden auch qualitative Untersuchungen zu sozial ungleichem Gesundheitsverhalten wichtiger. Diese zeichnen sich u.a. durch ihren Fokus auf soziale Praktiken der Herstellung von Gesundheit sowie die Erforschung gesundheitsbezogener subjektiver Deutungen und Alltagstheorien aus (vgl. Ohlbrecht/Jellen 2022). Qualitativer Gesundheitsforschung kommt damit die Aufgabe zu, die Entstehung ungleicher Gesundheitschancen sowie milieu- und klassenspezifischer Gesundheitskulturen durch rekonstruktive Verfahren zu erklären (vgl. Ohlbrecht 2022). Dabei liegt ihre Stärke in der theoriegenerierenden Rekonstruktion von gesundheitsrelevanten Sinnzusammenhängen und Erklärungsmustern und deren Verortung im biografischen, gesellschaftlichen und sozialen Kontext.
Außerdem wird qualitative Sozialforschung im Zuge der Globalisierung, wachsender Mobilität und der Zunahme kultureller Vielfalt aber auch Ungleichheit in der Alltagswelt zunehmend herausgefordert und muss der Interkulturalität der sozialen Wirklichkeit auch methodologisch Rechnung tragen. Dabei kann sie von ihrem traditionell experimentellen und ergebnisoffenen Charakter profitieren, wenn es darum geht, im Sinne einer interkulturell und ungleichheitssensiblen Sozialforschung auch methodisch neue Wege zu beschreiten.
Das Seminar ist eine Einführungsveranstaltung in die qualitative Sozialforschung und legt zusätzlich einen inhaltlichen Schwerpunkt auf gesundheitsbezogene Ungleichheit und ihre qualitativ-methodologische Erforschung. Daher werden im Seminar nicht nur die Grundlagen und spezifischen methodologischen Vorgehensweisen qualitativer Sozial- und Gesundheitsforschung vorgestellt. Daneben soll es auch um die qualitative Erforschung gesundheitsbezogener Ungleichheit (vgl. Mielck/Wild 2021) und Erkundungen im noch jungen Forschungsfeld der „interkulturellen qualitativen Sozialforschung“ gehen, bei der Fragen zur qualitativ-empirischen Forschung mit marginalisierten Personengruppen im Zentrum stehen (vgl. Roslon/Bettmann 2019).